Was ist Anthroposophische Pflege?
Körper, Seele und Geist brauchen Pflege, ebenso wie die Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt. Nicht zuletzt sind auch die Beziehungen zwischen Menschen pflegebedürftig. Die uns umgebende Luft, die Wärme, das Wasser, das Licht, die Stoffe der Erde - wir nehmen sie auf, atmend, essend - verdauend verwandeln wir sie und schöpfen sie neu - erspürend, erfühlend. Sie ernähren und erhalten uns. Wir scheiden sie aus und grenzen uns von ihnen ab. Menschliche Nähe und Wärme ermöglichen soziales Wohlbefinden. Liebe, Vertrauen, Sicherheit, Kreativität geben dem Leben Sinn und Bedeutung, eingebettet in den sozialen, kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und historischen Umkreis, in dem wir leben. Alles in allem ein unendlicher Kosmos von Beziehungen, die pflegebedürftig und pflegewürdig sind.
„Anthroposophie“ heißt wörtlich übersetzt „Weisheit vom Menschen“. Und es steckt so viel Weisheit im menschlichen Körper, Harmonie in der menschlichen Seele und Kreativität im menschlichen Geist! Anthroposophie will dazu beitragen die Beziehungen zwischen dem Menschen, der Natur und dem Kosmos besser zu verstehen. Die naturwissenschaftliche Perspektive geht dabei einher mit einer geistigen - philosophischen - kosmologischen.
Was bedeutet dies für die Pflege - für den wahrnehmenden Blick und die handelnde Hand?
Anthroposophische Pflege beschäftigt sich zum Beispiel mit folgenden Fragen:
- Wie können wir mit Wärme, Licht, Farben, Pflanzen oder mineralischen Substanzen zu Gesundheit und Wohlbefinden beitragen?
- Wie können wir durch einen verantwortungsvollen Lebensstil Krankheiten vermeiden und der Natur und den Mitmenschen ein friedliches Zusammenleben erleichtern?
- Wie können wir Schicksalsschlägen standhalten und sie interpretieren?
- Wie können wir berufliche und fachliche Entscheidungen aus unserem Gewissen heraus treffen anstatt aus einseitigen Sachzwängen?
- Wie kann die innere Haltung eines Menschen auf einen anderen Menschen gesundend oder kränkend wirken?
Jede Wissenschaft gründet sich auf Forschung. Anthroposophische Medizin und Pflege stehen hier an einem Anfang. Forschung beginnt mit Erfahrungsaustausch und in einem zweiten Schritt mit Fragen, die nicht unmittelbar aus der Erfahrung beantwortet werden. Seit langem kennt man in der Volksmedizin und in der Naturheilkunde die heilsame Wirkung der Arnika bei stumpfen Verletzungen äußerlich und innerlich. Aber wie ist die optimale Applikationsform der Arnikatinktur? Gibt es eine optimale Tageszeit für ihre Anwendung? Braucht es eine bestimmte innere Haltung bei der Anwendung oder wirkt Arnika unabhängig davon? Zeigt sich ein Unterschied zwischen beidem und welcher? Woher kann die Arnika was sie als Heilmittel leisten kann? Diese fragende und forschende Gesinnung liegt diesem Vademecum für Äußere Anwendungen zugrunde: Erfahrungen teilen, miteinander ins Gespräch kommen, weiterführende Fragen entwickeln, sich Mut machen, aus Fehlern lernen, Forschungen anregen.
Dieser Prozess kann uns zu einer gediegenen Fachkunde Äußerer Anwendungen leiten. Dann wird Pflege zur Kunst. Zur Heilkunst im Zusammenwirken von Patienten - Ärzten - Therapeuten und Pflegenden.
Anthroposophische Pflege ist vor allem eine Haltung gegenüber dem Pflegebedürftigen. Praktisch, herzlich, leicht. Immer respektvoll. Sie weicht existenziellen Fragen nicht aus. Sie hat mehr Fragen als Antworten. Sie steht am Anfang eines großen Abenteuers: Sich mitverantwortlich machen.
Rolf Heine & Maria Kusserow 2018